Musculus gastrocnemius- Weit entfernt von der Quelle ihrer kinetischen Energie wabbert die rote Soße mühsam durch den losen, breiten Schlauch. Überall in ihr treiben und driften nahezu orientierungslose Kurierdienste, die manch Sportler zu Hauff illegal beschäftigt. Die Lieferung dieser Boten besteht aus O-Zwei und sie sind verzweifelt bemüht um eine schnelle Zustellung, was durch die diffuse Fließgeschwindigkeit aber erschwert wird. Plötzlich geht ein Ruck durch den Schlauch. Die Wände straffen sich und der Durchmesser wird kleiner. Ein altes Physikgesetz besagt, dass die Fließgeschwindigkeit bei gleich bleibendem Volumenstrom und geringer werdendem Durchmesser steigt. Es kommt Bewegung in die Zustellszene.
Ich sitze in der zweiten Wechselzone und habe meine Kniestrümpfe angezogen - so stell ich mir deren Wirkung vor.
Auf Platz 1111 liegend habe ich mein Rad abgegeben. Trotz meiner Sondereinlage beim Umziehen habe ich nach der Wechselzone 48 Plätze gut gemacht. Heidi, das gibt schon mal nen Pluspunkt, oder?
Am Ausgang der Wechselzone gibt es gleich eine ausgiebige Verpflegung. Aufgebaut in kleinen Buden. Manche Mitsportler stehen davor, wie bei einer Bratwurstbude am Jahrmarkt und studieren die Auslagen. Irgendwie treibt mich mein Sportsgeist immer noch so voran, dass ich mir nur schnell einen Becher Wasser schnappe und weiter renne, um zehn Meter später wieder ein paar treue Anfeuere abzuklatschen – meinen Bruder Mathias, Didi und Biljana. Da ich 5 Minuten zu schnell bin, verpasse ich leider knapp Andrea, Mona, Nici, Jörn und Ben, die die Strapazen des Dauerregens auf sich genommen haben. Merci an dieser Stelle noch mal.
Die ersten vier Kilometer geht es zum Kanal. Hier gilt es sich zu sortieren und seinen Rhythmus zu finden. Das gelingt mir ganz gut. Ich laufe die ersten Kilometer zwischen 4:50 und 4:55 min/km. Bei Kilometer 3 kommen mir Renata und Uwe entgegen. Ein weiterer Wegbegleiter und vor allem –bereiter der Tramuntana-Tour auf Malle. Die beiden schenken mir aufmunternde Worte, welche ich dankend aufnehme.
Kurze Zeit später erreiche ich dann die Lände und biege links auf den Kanalweg Richtung Schwand ein.
Zeit für einen Imbiss! Ich presse mir ein Powergel Black Currant rein, von welchem ich noch 3 Stück im Picknicknetz meines Einteilers herumtrage. Mit einem Schluck Wasser spüle ich es herunter. Dong! Mein Körper dankt es mir mit einem sofortigen Haken auf den Magen. Ach Du Scheiße, nicht schon wieder!
Ich laufe weiter, werde von Michel und Manu mit motivierenden Worten bedacht und treffe den Meister, der mir entgegen kommt. Er schaut verbissen, wie man es von ihm im Wettkampf kennt. Er wird heute seinen dreiundzwanzigsten (!!) Ironman finishen. Ihm habe ich einen Großteil von dem zu verdanken, was ich am heutigen Tage zu leisten im Stande bin.
Kilometer zehn. Ich kann die Laufgeschwindigkeit halten und steuere auf die Schleuse Leerstetten zu, während der Himmel seine Schleusen wieder ein wenig geöffnet hat. Es nieselt wieder leicht.
Meine Ernährung stelle ich kurzer Hand um. Ein Stand Iso und am nächsten ein Gel plus Wasser. Mein Magen ist dadurch wieder freundlich gestimmt, denn das Zeug von Sponser ist echt gut. Genauso wie die Stimmung an der Schleuse. Ich höre meinen Namen, genieße die Atmosphäre und renne an einer Hüpfburg vorbei.
Gehüpft wird später!
Kurz danach kommt mir ein Typ entgegen, der geschätzte 120 Kilo hat. Bekleidet ist er mit einer Badehose, einem Triathlontop und einer Startnummer. Unfassbar was manche Leute machen. Sollte ich wirklich in der Wertung schlecht gekleidetster Triathlet nominiert werden, ist das ein uneinholbarer Konkurrent. Trotzdem empfinde ich Respekt.
In Schwand läuft man kreuz und quer durch den Ort, so dass einem halb schwindelig wird. Ich nutze diese Gelegenheit um mich mit meinem Salzspender zu beschäftigen, welchen ich seit Anfang des Radelns in Gebrauch habe um Krämpfen vorzubeugen. Es gibt ja diese Saltsticks für 25€, mit welchen man dann die Salztabletten für 30 Cent pro Stück raus drücken kann.
Klar! Man kann sein Geld auch an Steine binden und im Kanal versenken. Ich bin ja nicht blöd und habe mir eine total super Lösung einfallen lassen. Schwedentabletten sind gepresstes Kochsalz und 100 Stck davon sind für schlappe 4€ in der Apotheke zu haben. Dazu gibt’s ne Packung Smint, deren Inhalt nicht nur den Atem erfrischt, sondern auch perfekt zum Spenden der Schwedentabletten ist. Ich hab mir’n zweites Loch in’n Po gefreut, als die Schwedenpillen zu Hause eins A dosiert aus dem Plastikteil kullerten. Naja, soviel zum Praxistest in nicht genau definierten Wettkampfbedingungen. Ich hätte das ganze wohl noch mal unter der Dusche testen sollen, denn seit 10 Uhr hat sich das Salz in meiner super tollen Smintpackung mit dem Regenwasser verbündet und verweigert hartnäckig die Wiederkehr ans Tageslicht. Nach 12 Mal Schütteln und 17 Mal Drücken habe ich ein akzeptables Häufchen NaCl auf meiner Handfläche und sauge es auf. Schmeckt lecker, wenn man ständig das süße Zeug futtert. Unter trockenen Bedingungen ist die Smintpackung auf jeden Fall wettkampftauglich und weiter zu empfehlen.
Mit dieser Geschichte haben wir Schwand, wo sonst nichts Aufregendes passierte ist, hinter uns gelassen und ich kämpfe mich wieder Richtung Lände zurück. Bei Kilometer 16 hole ich das 120Kilo-Modell ein. Von hinten sehe ich, dass irgendetwas Dunkelfarbiges zwischen seinen Beinen runter rinnt. Mein anfänglicher Verdacht wird nicht dadurch entschärft, als ich merke, dass das Zeug rote Soße ist. Mann O Mann, der Typ hat sich einen Wolf gelaufen, dass alles zu spät ist. Ich empfinde Mitleid, als ich überhole und kann mir nicht vorstellen, dass ich diesen Athleten heute noch mal sehe.
Gel, Iso, Gel ... der Ernährungsrhythmus funktioniert bei mir gut. Dafür werden meine Schnitte kontinuierlich langsamer. 5.03, 5.07, 5.15. Die Beine werden schwer. Der Wille, das Tempo zu halten, schwindet und ich habe einen ersten Tiefpunkt beim Laufen. Leider finde ich auch keinen Läufer, mit welchem ich ein Tempo laufen könnte. Die meisten überhole ich. Die Staffelläufer mit dem S auf der Wade, die mich zu diesem Zeitpunkt überholen, sind größtenteils auf einem 3h Marathon unterwegs. Keine Chance!
Einen Kilometer weiter habe ich schließlich einen Mitläufer gefunden. Mathias begleitet mich 10 Minuten und ich sehe das erste Mal den kompletten Spruch auf seinem Shirt:
„My Brother is an Ironman!“
Ich freue mich und bin echt gerührt. Wenn ich bloß schon einer wäre!
23 Kilometer liegen noch zwischen Iron Maiden und Man. Die Vorabglückwünsche meines Bruders zu den gewonnenen 50 Liter Bier weise ich mit Verweis auf mögliche Katastrophen zurück.
Auch wenn ich nicht viel zur Konversation beigetragen habe, haben mich die vergangenen Minuten voran gebracht. Ich werde zwar nicht schneller, aber das Gefühl der Ermüdung ist etwas weniger. Genau genommen werde ich sogar noch langsamer. Auf dem Weg zum zweiten Wendepunkt verschandeln sogar Zeiten über 5.30 min/km meine Uhr. Mein Puls hat sich bei 140 eingependelt mit leicht sinkender Tendenz. Manchmal bin ich sogar bei 133. Trotzdem krieg ich nicht mehr Druck auf den Turnschuh.
Von Eckersmühlen zum zweiten Wendepunkt ist es sehr eintönig. Eine breite Straße im Wald. 3km hin, 3km zurück. Am Wendepunkt liegt eine Tartanmatte. Beim Überlaufen wird der Chip, den ich am Bein trage durch ein magnetisches Feld aufgeladen und aktiviert. Gleichzeitig sendet er meinen Identifikationscode an das Zeitmess-System, das die Daten in Echtzeit an den Computer zur Auswertung übermittelt. Bits und Bites schießen mit Lichtgeschwindigkeit ins Web. Wenige Augenblicke später wird der Aktualisierungsbutton eines Webbrowsers in Cadolzburg gedrückt. Die Reaktion der Bildschirmbetrachter ist Sorge, weil der mitgerechnete Laufschnitt nun stärker abgefallen ist …
Virtuelle Anfeuerung! Nicht gehört, nicht gesehen und trotzdem gefühlt. Ein „Gracias“ an dieser Stelle auch denen, die beim Livetracken mitgefiebert haben.
Kilometer 31. In der Realität fängt es wieder richtig das Schütten an und wie auf Kommando dazu die Stimme aus dem Fond:
„Pipiiii!“
OOOOKKKKAYYY
…
‚So, alles klar jetzt?’
„Sind wir bald daaaa??“
‚Schnauze!!!’
Ich habe das Gefühl es geht leicht bergab. Meine Turnschuhe fallen von leichtem wieder in schnellen Galopp. Irgendwie scheint mich der Regen eher zu beflügeln als zu deprimieren.
Eckersmühlen. Petrus muss da oben einen Wasserrohrbruch haben. Es schüttet was geht. Verpflegungsstelle. Gel, Wasser, Danke. Kinder und Erwachsene im strömenden Regen. Auch die Helfer müssen dieses Wetter ertragen. Und sie helfen mit Tapferkeit und Hingabe. Ehrenamtlich. Klasse.
Nach dem Stimmungsnest Haimpfarrich, was aus einer 30 Meter langen, glitschigen Schlammrinne und einigen Zuschauern, die in einer Scheune Unterschlupf gefunden haben, besteht, geht es die Böschung zum Kanal hoch und links Richtung Lände. Der Kanalweg ist knapp 2m breit. Mit etwas Glück passen vier Leute nebeneinander darauf, was heißt, dass man nicht viele Möglichkeiten zur Spurwahl hat. Die rechte Hälfte des Weges steht 2-3cm unter Wasser.
Plitsch, Platsch, Plitsch, Platsch! Die Schuhe sind eh schon mit Wasser gesättigt. Schwerer können sie nicht mehr werden, also ab dafür. Kurz vor der Kanalbrücke kommt mir wieder „der mit dem Wolf läuft“ entgegen. Ich staune und erachte alle Schmerzen, die ich von nun an erleide, als Streicheleinheiten.
5.11, 5.03, 4.58. Geht doch!
Zur Lände und links weg in den Wald. Ich warte auf das 39km Schild, das - von 2007 - wochenlang meinen Desktop zierte. Es kommt nicht. Dafür bekomme ich noch mal Radbegleitung von Manu, Michel, Biljana und Didi. Reden kann ich nicht mehr. Gas geben schon. Der Regen hat aufgehört. Da! Das 39km Schild! Zagg! Der 40er kommt auch gleich. Kilometer 41 in 3.59 min. Ok, der Veranstalter denkt an die Psyche der Athleten. Jetzt geht es heim! Selbst die Steigung im letzten Kilometer merkt man nicht mehr. Das Spalier ins Ziel fällt diesmal dünn aus. Wahrscheinlich weggespült. Nun wird es doch wieder dichter.
Es beginnt der b-l-a-u-e Teppich.
Auch wenn das Stadion wenig von der Atmosphäre hat, die ich sonst hier erlebt habe, gerate ich in einen Schwebezustand. Schwerelosigkeit lässt mich über den wassergeschwängerten Teppich gleiten.
Die erste Gerade im Stadion.
Beckerfäuste!!! JAAAAAHHHHHH!
Kurze Gegengerade, Freude puuur!!!
Die Zielgerade eines lange gehegten Traumes.
Zeit zu Hüpfen!
In meiner persönlichen Hüpfburg mache ich einen Satz, den ich nach den vergangenen 10 Stunden und 46 Minuten nicht für möglich gehalten hätte und bei dem selbst Flip vor neid erblassen würde.
Noch einmal kurz Strahlen und dann betrete ich die Finisherzone der Triathlon Traumfabrik Roth.
Ironman!!Ich??Unfassbar!!!Zeit? Eigentlich egal!Ein Traum ist in Erfüllung gegangen! :-))Glücklich umarme ich meinen Bruder.
Wir quatschen noch ein bisschen und ich strahle um die Wette mit den anderen Finishern, bis mich doch langsam Müdigkeit und Kälte einholen. Ich trotte schlotternd in den Verpflegungsbereich und freue mich über ein paar Wurstsemmeln, eine Massage, trockene, warme Klamotten und ein Soforturkunde.
10:46:41
660er von 2050 Finishern.
Ich bin mehr als zufrieden und kann es immer noch nicht fassen.
Grinsend sitze ich da und starre meine Urkunde an.
…
Das Grinsen ist bis heute geblieben und wird sicher noch eine Zeit anhalten.
Es war ein wunderschönes Erlebnis, auch wenn das Wetter nicht mitgespielt hat, habe ich einen super Tag erwischt "beim bisher härtesten Rennen in der Rother Triathlongeschichte" (Zitat aus dem Magazin triathlon 08/2008)
Was bleibt, ist die Frage, Suche und Erfüllung neuer Ziele und Träume, jeglicher Art.
Ich freue mich auf das Träumen neuer Träume und auf die Wege, die zu den Zielen führen, auch wenn sie manchmal steinig sein mögen.
Und ich möchte noch mal allen Dank sagen, die mir geholfen haben den Traum vom Quelle Challenge zu fabrizieren.
So, das war’s erstmal wieder hier von mir.
Eure Aufmerksamkeit gereichte mir zur Ehre und Freude, vielen Dank.
Bis die Tage,
Euer Christoph, alias b-l-a-u :-)
Buchstabendosis erhoehen ...