RENNSTEIGLAUF – Das Glück ist grün! Teil I

Mai 2005 Gardasee/Italien – Ich sitze auf dem Mountainbike und mein Schweiß rinnt in Strömen auf das Geröll der Kehren, die zum Tremalzo Tunnel hinauf führen. Kurz vorher habe ich meinen Bruder beim Passo Nota verabschiedet und bin nun alleine auf dem Weg nach oben. Nach der Passage eines kleinen Tunnels kommen die letzten Schneefelder in Sicht, welche noch im Schatten der Berge überlebt haben. Auch die letzten Serpentinen zum knapp 1800 Meter hohen Passo di Tremalzo sind schon zu sehen. Als ich sie in Angriff nehme werde ich von einem Kerl auf einem roten, starren Mountainbike zügig überholt. Als ich kurze Zeit später oben ankomme, ist er auch noch am inne halten und genießt den Ausblick.
...

„Christian, wie war Dein Nachname noch einmal?“ frage ich, bevor ich anschließend ins Quartier zurück radle und wir uns zum Abschied die Hände schütteln.
…
16.05.2009 Eisenach/Thüringen – Vier Jahre später stehe ich in Erwartung des Startschusses zum 37.Guthsmuths Rennsteiglauf auf dem Marktplatz in Eisenach und schüttele dieselbe Hand wieder.
Es ist die Hand von Christian Stork, des Seriensiegers des Rennsteigsupermarathons. Als ich ihn kurz vor dem Startschuss frage, ob es sein kann, dass wir schon mal zusammen vom Tremalzo abgefahren sind, schaut er erst etwas verwirrt, kann sich dann aber sofort erinnern. Es bleibt leider nicht viel Zeit zum Austausch, da der Bürgermeister ja auch noch was sagen will und die Kirchenuhr am Platz kurz danach die sechs vollen Stunden des Tages einläutet.
6.00 Uhr - es fällt der Startschuss zum Rennsteig-Supermarathon.
72,7 km.
1490 Höhenmeter.
Peng!
Ich renne los und wir unterhalten uns 8 Stunden später weiter!
1490 Höhenmeter.
Peng!
Ich renne los und wir unterhalten uns 8 Stunden später weiter!
15.05.2009 Schmiedefeld am Rennsteig – 12.45 Uhr. Jetzt sind wir also da. Ich stehe auf der Parkwiese vor dem Wohnmobil und betrachte den Aufbau des Zielbereichs in Schmiedefeld. Hier soll mein nächster Traum in Erfüllung gehen.
Wie und wann ich angefangen habe, diesen Traum zu träumen weiß ich gar nicht mehr. Irgendwann habe ich von diesem Lauf gelesen und gleich die Faszination gespürt. Geplant hatte ich es für 2008, aber leider kam mir dann der Schlüsselbeinbruch 2007 dazwischen. Egal! Jetzt stehe ich hier und freue mich wie bescheuert auf morgen.
Insgesamt ist noch nicht viel los. Wir sind erst das ca. zehnte Wohnmobil. Die Wette mit meinem Vater um ein Eis habe ich verloren, da ich meinte wir wären das 43igste. Eine Wetttradition, die fast so alt ist wie der Rennsteiglauf, und eigentlich auf die Schlangenlänge an einem Fährhafen gemünzt ist.
Ok, das nur am Rande. Ist nicht wirklich wichtig für den Ausgang dieser Geschichte ;-)

Nachdem wir es uns gemütlich gemacht haben und das Gelände erkundet haben, schnüre ich meine Schuhe und mache mich auf einen kurzen Erkundungslauf. Vorbei an den Jungs von Mika-Timing, die das Zeitmesssystem aufbauen, laufe ich entgegengesetzt der Strecke von morgen. Nach 19 Minuten drehe ich wieder um und notiere später 35 min, 6,5 km und 120 Höhenmeter in mein Trainingsbuch. Jetzt weiß ich immerhin, was mich auf den letzten 3 km erwartet.
Nach einem kurzen Plausch mit den Mika-Jungs gehe ich zum Duschen ins Wohnmobil. Das Wasser ist zwar kalt, weil der Boiler nicht funktioniert, aber trotzdem ist es ein ungemeiner Luxus im Gegensatz zu den Campern.
Carboloading ist angesagt: Ich haue mir eine halbe Schüssel Nudelsalat rein.
Geloaded und geduscht begeben wir uns um 17:00 Uhr wieder Richtung Festzelt. Es kommen immer mehr Leute. Viele kennen sich. An dem Köstritzer Stand ist reger Betrieb. Auch die Thüringer Bratwürste finden schon reichlich Absatz.

Die Atmosphäre in Schmiedefeld wird immer familiärer und spezieller. Überall um uns herum unterhalten sich Leute, lachen und haben Spaß. Irgendwie erfasst mich jetzt schon ein tolles Gefühl.
Na gut. Ein halbes Bier noch, aber dann gibt’s Abendbrot. Nudeln mit Pesto. Nicht mehr viele, aber ein paar sollen es schon noch sein.
Anschließend mache ich noch einem kleinen Spaziergang über den Zeltplatz. Überall wird gegrillt, gelacht, geratscht und gefeiert. Als ob der Lauf schon vorüber wäre.

Also schlendere ich weiter. Unterhalte mich mal hier mal dort. Immer wieder höre ich von dem legendären Fest danach. Ein Ehepaar aus Rendsburg - er läuft Marathon, sie den Halben – erklärt mir, dass ich auf Muskelkater und müde Beine keine Chance habe, denn ich werde zum Tanzen nach dem Lauf einfach auf die Bank oder den Tisch gezogen. Naja, das wollen wir mal sehen!?

Langsam ziehen Wolken auf. Es ist 21.00 Uhr und wird dunkel. Ich gehe zurück ins Wohnmobil. Dort gönne ich mir noch ein leichtes Gutmann und lege dabei meine Klamotten zurecht. Gut das ich die letzten Tage immer prima geschlafen habe und auch den Infekt mit Hals-, Kopf- und Ohrenschmerzen, der mich die Woche davor noch ärgerte, komplett auskuriert habe. Ich kann mich über nichts beschweren. Mein Training lief super. Die Testrennen verliefen besser als erwartet. Auch wenn ich bereits in fünf Stunden wieder aufstehen muss, kann ich um 21.30 beruhigt und dankbar die Leiter zu meiner Koje hinaufsteigen. Als ich das Licht lösche und mich richtig in die Decke kuschele, öffnet der Himmel seine Schleusen. Mit unglaublicher Wucht trommelt der Regen auf das Dach und lacht.
Lach Du nur!
Kotz Dich aus!
Jetzt!
Wer zu letzt trommelt, trommelt am besten!
Ich falle in einen Halbschlaf, mit der Hoffnung das der Regen 8 Stunden früher als prognostiziert fällt.

3:15 Uhr ich laufe zur Bushaltestelle. „Der erste Bus ist voll“ wird mir gesagt. Ich laufe vorbei und sehe, dass in der letzten Reihe noch drei Plätze frei sind. Also zurück und einsteigen. Irgendwie sind die Sportler heute nicht ganz so gut gelaunt wie gestern, aber das ist angesichts der Uhrzeit und der Anspannung auch etwas verständlich. Auf jeden Fall maulen ein paar Leute rum, als ich an dem leeren Busfahrerplatz in dem vollen Bus nach hinten laufe.
Letzte Reihe!
Das war schon immer mein Platz.
König ist natürlich der, der in der Mitte sitzt.
Einen so b-l-a-u-blütigen Eindruck scheine ich aber nicht zu erwecken.
Der König verweist mich in die linke hintere Ecke. Auch nicht schlecht.
Hmmm, jetzt fällt mir gerade ein warum die so gegrummelt haben könnten. Ich bin ja praktisch Schwarzfahrer, da ich meine 10€ nicht gelöhnt habe. Das mache ich beim Aussteigen. Pünktlich geht es los um 3.30 Uhr los. 1,5 Stunden Busfahrt in denen man Essen und schlafen kann oder sich auch mal richtig vernünftig überlegen kann, wie bescheuert man eigentlich ist, dass man jetzt in diesem Bus sitzt.
Eine eineinhalbstündige Fahrt mit einem nicht untermotorisierten Kraftfahrzeug in eine Richtung lässt einem genug Zeit darüber nachzudenken, ob es schlau ist diese Entfernung auf einem bergigen, Wanderweg mit vielen Crosspassagen zurückzulaufen. Und irgendwie kommt man nur zu einem Schluß …
Deswegen verdränge ich diese Gedanken auch ganz schnell und konzentriere mich auf das Beobachten anderer Sportler, die wahrscheinlich denselben Gedanken denken. Das ist zwar gemein, aber schon witziger, als selber darüber nachzudenken.
5.00 Uhr Eisenach. Tschüss König, ich steig vorne aus, drück dem Kutscher noch den Zehner in die Hand und begebe mich zur Startnummernausgabe. Das geht Ultrafix. Blöd bloß, das nur noch T-Shirts in XL und S da sind. XL geht gar nicht. S ist zwar im Ansatz Bauchfrei, aber das kann ich mir zurzeit erlauben.
In einem Zelt ziehe ich mich um. Die Läufer sind hier wieder besser gelaunt. Es wir fotografiert und Spaß gemacht. Neben mir zieht sich die „4“ um. Das Rennsteig R in leuchtendem Grün mit dem gebogenen Pfeil darüber ziert Waden und Schultern. Schaut cool aus. Wir unterhalten uns kurz. Ein junger Bursche aus Suhl bei seinem zweitem Rennsteig-Supermarathon. Vierter war er beim ersten Mal nicht. 12 Stunden später werde ich zusammen mit Martin, wie er heißt, eine nicht unerhebliche Menge Bier verdrücken.
So, die Nummer ist festgemacht. Davor noch ein paar Schwedentabletten abgepackt. Die bestehen aus gepresstem Kochsalz und verhindern Krämpfe. Als zweites Frühstück gibt es ein Powergel, zwei Schwedentabletten und ein paar Schlucke Wasser. Noch ein bisschen die Atmosphäre genießen. Kleiderbeutel abgeben und noch mal Kaffee weg bringen. Perfekt. Ich Reihe mich vorne ein und sehe eine Gruppe durchtrainierter Kerle beisammen stehen. Das können nur die Favoriten sein. Ich lese auf der Startnummer „Christian Stork“ und stelle ihm eine Frage …
Fortsetzung folgt
